Text 7:
Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 73,1-4

 

Sen. epist. 73,1a

Sen. epist. 73,1b

Sen. epist. 73,1c

Sen. epist. 73,2a




Sen. epist. 73,2b

Sen. epist. 73,3a

Sen. epist. 73,4a



Sen. epist. 73,4b

Meiner Meinung nach sind diejenigen im Irrtum, welche die getreuen Anhänger der Philosophie für widerspenstig und halsstarrig halten, für Verächter der Behörden bzw. der Herrscher oder der Regierung.

Doch im Gegenteil, keine Menschengruppe ist den Regierenden dankbarer als die Philosophen, und das mit vollem Recht. Denn niemandem leisten sie einen größeren Dienst als den Männern, welche durch das Wirken der Staatsmänner die Möglichkeit haben, in Ruhe ihre Muße zu genießen. Daher müssen Menschen, für die die öffentliche Sicherheit viel zur Erfüllung ihres Vorsatzes, ein gutes Leben zu führen, bedeutet, den Urheber dieser Annehmlichkeit wie einen Vater ehren, viel mehr als diejenigen, die unruhig im öffentlichen Leben stehen, die den Herrschern zwar viel verdanken, aber an diese auch große Ansprüche stellen; und nie kann solchen Leuten großzügig genug irgendeine Freigebigkeit entgegenkommen, so dass ihre Gier gestillt werden könnte; denn mit ihrer Befriedigung wächst die Gier nur noch weiter. Wer an seinen Profit denkt, vergisst das bereits Erreichte, und das größte Übel, das die Begehrlichkeit aufweist, ist die Undankbarkeit. Ferner: Keiner von den Politikern schaut auf die vielen, die er schon überrundet hat, sondern nur auf die wenigen, die noch vor ihm stehen; seine Freude, viele hinter sich zu wissen, ist nicht so groß wie sein Ärger, noch einen vor sich zu haben. Der zuvor erwähnte aufrechte, lautere Mann jedoch, der die Tätigkeit in der Kurie, auf dem Forum und jede Art von Staatsdienst aufgegeben hat, um sich auf Höheres zu konzentrieren, weiß die Männer zu schätzen, die ihm ein solches Leben in Sicherheit ermöglichen; er ist der Einzige, der für sie ohne Gegenleistung gutes Zeugnis gibt und sich ihnen für eine große Tat verpflichtet fühlt, von der sie gar keine Ahnung haben. Wie er seine Lehrer verehrt und zu ihnen aufblickt, durch deren verdienstvolles Wirken er aus den üblichen Irrwegen herausfinden kann, so verehrt er auch die Herrscher, unter deren Schutz er höheren Studien nachgehen kann.